Newsletter #16

Hochbegabung – ein Thema der Sonderpädagogik?

 

Esther Brunner, Dominik Gyseler und Peter Lienhard gehen in ihrem Buch ‘Hochbegabung – (k)ein Problem? Handbuch zur interdisziplinären Begabungs- und Begabtenförderung’ (2005) ausführlich darauf ein.

 

 

 

Sie erwähnen, dass in den USA Kinder mit einer Normabweichung als Kinder mit ‘special needs’ bezeichnet würden und ein Recht auf sonderpädagogische Massnahmen hätten. Dazu schreiben sie im Hinblick auf Hochbegabung: «So klar diese Auffassung ist – pädagogisch zu überzeugen vermag sie kaum, weil nicht plausibel ist, inwiefern aus einer Hochbegabung notwendigerweise das Recht auf sonderpädagogische Massnahmen abgeleitet werden kann.»

 

 

 

«Warum sollte es zum Auftrag der Sonderpädagogik gehören, ein zehnjähriges Kind, welches die 4. Klasse besucht, jedoch bereits die Lernziele der 5. Klasse weitgehend erfüllt, speziell zu fördern?»

 

Die Autoren sind offenbar der Ansicht, vor allem das ‘Vorwissen’ führe zu schulischer Unterforderung.

 

 

 

Aus der Praxis wissen wir aber: Unterforderung entsteht nicht hauptsächlich durch Vorwissen. Das eigentliche Problem liegt vielmehr darin, dass Schülerinnen und Schüler mit HKP so schnell, vernetzt und kreativ denken, dass sie

 

1. sofort verstehen, was die Lehrperson erklärt,

 

2. dazu viele Ideen und Fragen haben, die im Unterricht kaum Platz haben

 

3. kaum Übungen und Wiederholungen benötigen.

 

 

 

Ein grosser Teil ihrer Schulzeit besteht deshalb aus Warten. Dieses Warten, zusammen mit geringer denkerischer Herausforderung, kann zu einem ‘boreout’ führen, welches, genauso wie das bekanntere ‘burnout’, schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann.

 

 

 

Diese Schülerinnen und Schüler werden zudem häufig nicht wirklich verstanden: Zum Beispiel lösen sie Rechnungen oft ohne (oder mit einem anderen) Lösungsweg. Auch haben sie oft Mühe, mit ihrer hohen Sensibilität zurecht zu kommen (beispielsweise vertragen sie manchmal keine hohe Geräuschkulisse). Und sie können sich sehr über Ungerechtigkeiten ärgern und entsprechend heftig darauf reagieren.

 

 

 

Wenn nun ein Kind mit HKP mit all dem fertigwerden muss und dadurch seine Motivation zum Lernen und Leisten verliert, braucht es Hilfe. In schweren Fällen wäre vorübergehend sogar eine Sonderschule notwendig. Aber eine Sonderschule für minderbegabte und verhaltensauffällige Kinder hilft ihm nicht, im Gegenteil, die Unterforderung – meist die Ursache der Probleme - wird sogar verstärkt. Leider gibt es in der Schweiz noch keine Sonderschulen für Kinder und Jugendliche mit HKP, starkem Verlust der Lern- und Leistungsmotivation mit den entsprechenden Folgen (Verhaltensprobleme, gesundheitliche Probleme, Minderleistung).

 

 

 

Ob Sonderpädagogik oder nicht: würden öffentliche Schulen über genügend Ressourcen verfügen, um Kinder und Jugendliche mit HKP besser erkennen und fördern zu können, könnten solch drastische Massnahmen wie z.B. Umplatzierungen auch weitgehend verhindert werden. Und genau hier setzt unsere geplante Initiative für Bildungsgerechtigkeit an.